Ich bin auf einer Facebook-Gruppe für Deutsche Mamas in London auf eine Logopädin aufmerksam geworden und finde es toll, dass sie eine logopädische Beratung aus der Ferne anbietet! Gerade Familien, die wie wir im Ausland leben, haben es schwer, wenn die eigenen Kinder in der Entwicklung der Deutschen Sprache etwas Förderung benötigen. Schon die Website von Verena zeigt, mit wie viel Liebe sie an das Thema geht und ich finde ihren nachzulesenen Werdegang sehr beeindruckend! Außerdem hatte ich einen wirklich sehr netten Email Kontakt mit ihr und sie hat sich sofort bereit erklärt, mir für meinen Blog ein paar Interviewfragen zu beantworten.
Am Besten lest ihr einfach selbst das wirklich tolle Interview mit Verena 🙂
Wie man auf deiner Website www.wie-kinder-sprechen.de lesen kann, bist du sehr erfolgreich in deinem Beruf und hast unter anderem ein wissenschaftliches Stipendium bekommen. Wie kamst du dazu, Logopädin zu werden und was fasziniert dich am meisten an deinem Beruf?
Das wusste ich tatsächlich schon relativ früh. Als ich in der 9. Klasse des Gymnasiums ein Praktikum in einem Kindergarten machte und die Erzieherinnen mich darum baten, mich besonders um die sprachauffälligen Kinder zu kümmern, wusste ich, das will ich später einmal machen. Der Beruf ist durch die Verknüpfung von Theorie (Sprachwissenschaft, Medizin, Psychologie, etc.) und Praxis besonders spannend. Und natürlich durch die vielen verschiedenen Menschen, von jung bis alt, die man dabei kennen lernt und denen man etwas sehr essentielles (zurück) geben kann – die Fähigkeit zu kommunizieren.
Meinen Blog lesen natürlich sehr viele Mamas und Papas. Könntest du uns bitte kurz zusammenfassen, wie die Sprache sich in den ersten 5 – 6 Lebensjahren bei Kindern entwickelt?
Sehr gerne! Die Sprachentwicklung ist unheimlich vielfältig und spannend und wie erfolgreich sie verläuft ist abhängig von einer Reihe von Faktoren. Zunächst ist zu sagen: Sprechen lernt man nur durch sprechen. D.h. durch echte sprachliche Anregung der Bezugspersonen und nicht dadurch, dass man vor dem Fernseher sitzt. Natürlich bringt jedes Kind auch verschiedene Grundvoraussetzungen mit, ganz entscheidend ist jedoch ein hohes Maß an Liebe und Zuwendung zu genießen. Kinder brauchen auch gar nicht viele Erklärungen. Sie sind in der Lage Regelmäßigkeiten (und Unregelmäßigkeiten) zu erkennen und wissen irgendwann, dass die Mehrzahl von Auto Autos ist, die Mehrzahl von Puppe aber nicht Puppes sondern Puppen. Es ist wirklich unfassbar spannend zu sehen wie mühelos Kinder Sprachen erlernen können.
Gibt es so eine Art „Milesstones“ die die Kinder bis zu einem Alter erreicht haben sollten und was ist zu tun, wenn ein oder mehrere dieser Ziele nicht erreicht wurden?
Grundsätzlich kann man vereinfacht sagen, dass Kinder um den 1. Geburtstag das Sprechen anfangen sollten, d.h. erste “echte“ Wörter bestimmten Dingen zuzuordnen. Vorher lallen sie und probieren verschiedene Laute aus. Um den 2. Geburtstag sollten die Kinder sogenannte Zweiwortäußerungen sprechen, wie “Papa Arbeit” oder “Puppe schlafen” zudem sollte das Kind aktiv 50 Wörter sprechen. Ab diesem Zeitpunkt gibt es einen Wortschatzspurt und das Kind nimmt jeden Tag eine Vielzahl von neuen Wörtern in seinen Wortschatz auf. Es entwickelt sich die Grammatik und alle Laute (auch in Verbindungen wie “kr” “schn” oder “bl”), sodass die Kinder mit ca. 5 Jahren nahezu sprechen können wie ein Erwachsener. Einen etwas ausführlicheren Überblick dazu gibt es auf meiner Homepage unter der Rubrik “Meilensteine”.
Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Kinder zur logopädischen Therapie kommen und in welchem Alter?
Ganz häufig sind es Aussprachefehler (Lispeln, „t“ anstatt “k“, etc.) und Grammatikprobleme (Schwierigkeiten bei den Endungen, Pluralbildung, Verbstellung im Satz, usw.). Es gibt aber auch eine Vielzahl anderer Gründe. Darunter sind Hörstörungen, Näseln, Lese-Rechtschreib-Störungen und auch Schluckstörungen. Die meisten Kinder kommen im Kindergartenalter zwischen 3 und 5 Jahren, wobei zunehmend auch unter 3 -Jährige behandelt werden, was sich in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen als sehr sinnvoll erwiesen hat.
Was hältst du von den langen Wortlisten, die einem manche Kinderärzte bei U-Untersuchungen vorlegen, damit man ankreuzt, welche Worte das Kind sprechen kann?
Das mag zwar für die Eltern etwas aufwendig und vielleicht sogar überflüssig erscheinen, ist jedoch sehr wichtig. Wie oben erwähnt gibt es diese 50-Wörter-Marke um den 2. Geburtstag und wenn ein Kind weit darunter liegt, sollten wir hellhörig werden. Diese Kinder bezeichnen wir Logopäden als “Late Talker”. Das ist erstmal nicht schlimm, kann jedoch zu einer Sprachentwicklungsstörung führen. Oft brauchen die Kinder nur ein paar Termine beim Logopäden um die Strategien wie Sprache erlernt wird zu begreifen und holen dann von selbst ihren Rückschritt auf. Umso länger man wartet umso mehr manifestieren sich falsch erlernte Muster.
Meine 4,5 Jährige quasselt ohne Unterbrechung mit Gleichaltrigen aber wenn sie mit Erwachsenen zusammen ist, auch wenn sie sie gut kennt, ist sie deutlich zurückhaltender. Wie wichtig ist es für Kinder, ihre Sprache mit Gleichaltrigen weiter zu entwickeln? Oder lernen sie vielleicht schneller fehlerfrei zu sprechen, wenn sie eher mit (fehlerfrei) sprechenden Erwachsenen zu tun haben? Oder ist es etwa egal – Hauptsache sie sprechen überhaupt?
Beides ist wichtig. Sprache als Mittel zur Kommunikation und Konfliktlösung mit Gleichaltrigen zu erleben ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung. Deshalb sind Kinder mit Sprachstörungen auch oft die Außenseiter im Kindergarten, da sie u.a. beim Spielen (z.B. Rollenspiele) nicht mithalten können und ihre Konflikte auf andere Weise (z.B. körperlich) lösen müssen. Wenn Kinder allerdings nur mit Gleichaltrigen zusammen wären, würde sich die Sprache nicht weiter entwickeln. Daher ist die Sprachanregung durch Erwachsene und ältere Kinder sehr wichtig. Und, dass deine Tochter bei Erwachsenen etwas schüchtern ist, ist ganz normal. Das ging uns allen so 🙂
Viele Kinder – von Eltern unterschiedlicher Nationalitäten, mit Migrationshintergrund oder im Ausland lebend – werden zweisprachig erzogen. Welche Tipps kannst du Eltern in Hinblick auf die Sprachentwicklung ihrer Kinder geben? Gibt es Fehler, die dringend vermieden werden sollten?
Grundsätzlich ist zu sagen, dass ein mehrsprachiges Aufwachsen eine tolle Chance und definitiv kein Hindernis ist. Nie mehr lernt man Sprachen so einfach wie im Kindesalter und wir Deutschen sind eine der wenigen Nationen in denen Kinder monolingual aufwachsen, ganz im Gegenteil zu den meisten Staaten in Afrika oder auch in der Schweiz. Wenn die Eltern der Kinder verschiedene Muttersprachen haben, sollten sie darauf achten jeweils in ihrer Muttersprache mit dem Kind zu sprechen. Und das auch so konsequent wie möglich. Die Grenzen zwischen einer normalen und gestörten mehrsprachigen Sprachentwicklung sind leider oft etwas fließend. D.h. es ist normal, dass Kinder die Sprachen für eine Zeit lang vermischen, eine Sprache bevorzugen oder sich in allen Sprachen etwas langsamer entwickeln. Bei Unsicherheit oder wenn die Auffälligkeiten länger andauern, empfehle ich professionellen Rat einzuholen.
Haben Kinder die zweisprachig aufwachsen es leichter, eine weitere Sprache zu lernen und sind sie eher in der Lage, eine korrekte Aussprache zu erlernen?
Kinder die mehrsprachig aufwachsen und später mehrere Sprachen fließend sprechen haben viele Vorteile gegenüber monolingualen Kindern. Sie sind in der Tat oft sprachlich talentierter und durch die ständige Aktivität von 2 oder mehr Sprachen im Gehirn verfügen sie auch über bessere Hirnleistungsprozesse. Das wiederum führt, um mal an das Erwachsenenalter der Kinder zu denken, zu einem verspäteten Beginn oder Ausbleiben von Demenz. Es hat also nur Vorteile, solange die Kinder keine Schwierigkeiten im Erwerb haben.
Ich danke dir ganz herzlichen Dank für deine ausführlichen und höchst interessanten Antworten!
Eure Uta x
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