Lange vor mir hergeschoben habe ich einige Zeit gebraucht einmal aufzuschreiben, wie es uns als Deutsche in London nach dem Brexit Referendum ging. Es war auch in der Tat eine recht intensive und teilweise beängstigende Zeit. Der Brexit war allgegenwärtig (zumindest wenn man sich in der Gesellschaft von Menschen befand, die man besser kennt und mit denen man über solche Dinge spricht).
Noch am Abend der Referendum Wahl war ich mit einem Polen, einem Deutschen und einer Französin aus meinem Büro auf ein paar After-Work-Drinks. Natürlich haben wir auch über die an dem Tag stattfindende Wahl und über das Wahlengagement einiger englischer Kollegen von uns geredet. Allerdings waren wir irgendwie doch recht sicher, dass der Brexit nicht kommt und England in der EU bleiben wird. Lediglich mein Besuch an der Englischen Küste ein paar Wochen zuvor hatte mir gezeigt, dass es auch eine starke Leave Bewegung außerhalb von London gibt… Aber ich ging davon aus, dass die Prognosen schon stimmen würden und die Briten – wenn auch knapp – für „Remain“ stimmen werden.
Während ich am Wahlabend die seltene Gelegenheit genutzt hab und mit den Kollegen unterwegs war, war unser AuPair mit meinen Kids im Supermarkt und sprach an der Self-Check-Out-Kasse mit den Kids – ganz normal – deutsch. Daraufhin kam eine Angestellte des Supermarkts direkt auf sie zu und sprach sie mit gedämpfter Stimme an: Sie wies unser AuPair darauf hin, dass sie besser heute Abend noch Koffer packen sollte, weil sie morgen das Land verlassen müsste!!! Als ich davon gehört habe, war ich ähnlich geschockt wie unser AuPair, der in dieser Situation (verständlicherweise) keine Antwort gegenüber der Mitarbeiterin eingefallen ist. Am allermeisten hat mich geärgert, dass die Schnatterente hinterher unser AuPair verwirrt gefragt hat, wieso die Frau meinte wir sollten die Koffer packen, wo doch noch gar keine Schulferien wären! Ob Briten oder anderen Nationalitäten: Wem auch immer ich danach von dieser Geschichte berichtet habe, hat mir geraten, dass unser AuPair auf jedenfall diesen Vorfall im Supermarkt anzeigen soll. Sie hat das letztendlich auch getan und die Supermarkt-Leiterin hat sich hundert Mal entschuldigt und gleich geahnt, welche Mitarbeiterin das war, weil es schon eine andere Beschwerde gab. Nun konnten sie scheinbar Schritte gegen diese Dame einleiten…
Vielleicht auch wegen dieser Erfahrung unseres AuPairs, und auch weil unser Besucher am Tag nach der Referendum Wahl um 4:00 Uhr morgens die Toilette besucht hat, bin ich sehr früh wach geworden und habe auf BBC die Hochrechnungen gecheckt. Schon um 4:00 Uhr morgens war klar, dass es ohne Zweifel Richtung Brexit ging! Ich war geschockt, enttäuscht und verunsichert und viel zu aufgebracht, um irgendwie noch an vernünftigen Schlaf zu denken. Je mehr Stimmbezirke ausgezählt und veröffentlicht wurden, desto eindeutiger wurde der Vorsprung von Leave gegenüber Remain. Zu einer halbwegs normalen Aufwachzeit habe ich mal meinen Mann geweckt und auch er konnte das Geschehene nicht fassen.
Der morgendliche Commute ins Büro war mehr als merkwürdig: Niemand in der Northernline ließ sich irgendetwas über die Brexit Wahl anmerken! Alles war wir üblich (es scheint ein ungeschriebenes Gesetz im londoner Nahverkehr zu sein, dass man sich nicht miteinander unterhält). Im Büro angekommen, änderte sich das Bild schlagartig: Der Brexit wurde überall diskutiert: Vermutlich sind etwa die Hälfte meiner Kollegen Briten und die andere Hälfte zum großen Teil Europäer. Die Briten waren ebenso geschockt wie die nicht Briten. Zudem waren die britischen Kollegen auch sauer und enttäuscht über engste Verwandte und Freunde, die entweder gar nicht zur Wahl gegangen sind, oder Leave gewählt haben z.B. um ein Statement zu setzen (weil sie davon ausgegangen sind, dass Remain eh gewinnt) oder die überzeugte Leave Wähler waren. Es wurde schon im Büro klar, dass es einen Generationenkonflikt unter den Briten gibt, der viele Familien auf eine Probe stellen wird.
Auf Facebook las ich in den kommenden Tagen viele Statusmeldungen von Briten, die sagten, dass sie auf keinen grünen Zweig mehr mit britischen Freunden kommen könnten, die für Leave gestimmt haben. Genauso häufig habe ich mitbekommen, dass Briten sich nach Sprachkursen umhörten, weil sie nicht länger in „diesem“ UK leben wollten. Am meisten betroffen haben mich Posts gemacht, wo es um rassistische Angriffe gegenüber bisher durchaus als ebenbürtig angesehene Europäer wie Franzosen, Skandinavier oder Deutsche ging. Dass Briten die Freizügigkeit insbesondere Osteuropäer als kritisch bewerten, weil diese – fleißig wie sie sind – den Briten Arbeitsplätze streitig machen könnten, hat man schon mitbekommen. Das „Problem“ ist ist bis in die Politik bekannt und es wird nach für alle Seiten vernünftige Regelungen gesucht. Aber die Westeuropäer, die in der Regel nur mit festen Arbeitplätzen ins teure UK ziehen, wurden bisher kaum mit irgendwelchen kritischen Bemerkungen versehen. Ich will absolut nicht behaupten, dass Briten, die für Leave gestimmt haben, rassistisch sind. Es gibt tausend – unter anderem auch gute Gründe – für den EU Austritt. Allerdings haben sich doch einige Briten scheinbar durch den Ausgang der Wahl bestärkt gefühlt, in Situationen, wo sich Europäer in ihrer Landessprache unterhielten, lautstartke oder hinter der Hand gehaltene Kommentare abzulassen, dass diese Personen lieber Englisch sprechen sollten oder doch besser gleich nach Hause gehen sollten.
Diese erste Schockstarre, in der wir uns befanden, und die dazu führte, dass wir – ob privat oder beruflich – immer wieder das Thema Brexit diskutiert haben, legte sich erst nach ein-zwei Wochen. Mit dem Rücktritt der verschiedensten pro-Brexit Politiker und der Offenbarung von zahlreichen Lügen eben dieser Politiker, ging die Anzahl der rassistischen Aussagen, die man aus erster und zweiter Hand mitbekommen hat, zurück.
Ich muss schon sagen, dass mich das alles sehr schockiert hat. Als Deutsche von Fremdenhaß betroffen zu sein, kannte ich so eigentlich nicht. Es gibt schon Britische Mamas, die Europäern gegenüber weniger offen sind als anderen Briten – aber es ist ja auch irgendwie anstrengender, sich mit Müttern zu unterhalten, die der englischen Sprache nicht so mächtig sind… Gut, die Deutschen sind außerdem in England natürlich noch immer als „Kriegsbringer“ bekannt und ab und zu hört man noch so Bemerkungen in diese Richtung. Aber generell habe ich mich bisher in London immer gerne als Deutsche geoutet und nie irgendwelche Sorgen gehabt, dass ich mich damit in unangenehme Situationen bringen würde. Ob das jetzt noch in jeder Situation so ist, würde ich nicht beschwören. Insbesondere wegen der Kinder würde ich sowieso heute meinen „Stolz“ herunterschlucken und jeglichen Trotz, der vielleicht sonst in gewissen Situationen aufkommen würde, unterdrücken.
Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack und auch wenn sich die Aufregung etwas beruhigt hat, fühle ich mich ein ganzes Stück weit weniger willkommen in London als noch vor der (total bekloppten) EU-Referendum-Wahl! Ob sich die Brexit-Entscheidung am Ende irgendwie auf unsere Lebensplanung auswirken wird, wird sich erst noch zeigen (wobei es ersteinmal keine unmittelbaren Pläne gibt). Im Zweifelsfall gibt es außer London auch noch andere Europäische oder schweizer Großstädte, die uns interessieren würden. Die nächsten zwei Jahre lautet für mich allerdings noch die Devise „stay put“ – zumindest solange sich nichts gravierendes ändert. Aber danach?!? Lets see.
Eure Uta x
Leave a Reply