Nachdem wir nun schon über vier Jahre in London leben und ich mir bisher nur von „weitem“ angeschaut habe, wie das ist, haben wir nun doch auch das „Abenteuer“ begonnen: Schwanger in England.
Schwanger in England – Die ersten 20 Wochen
Abenteuer ist ein bisschen provokant formuliert und ich bin mir sicher, dass es viele Gegenstimmen geben wird: „Man ist in Deutschland als Schwangere unzähligen unnötigen Untersuchungen ausgesetzt“ „Kinder bekommen ist in England genau so sicher wie in Deutschland“ etc.
Was man nicht abstreiten kann ist die Tatsache, dass es vor allem für Zweit- oder Mehrgebärende deutlich weniger Untersuchungen gibt und dass man KOMPLETT eine Schwangerschaft in England durchmachen kann, ohne auch nur ein einziges Mal einen Frauenarzt zu Gesicht bekommen zu haben. Wie ich die zweite Schwangerschaftshälfte in England erlebt habe, habe ich auch aufgeschrieben. Lediglich von einer Geburt kann ich nicht berichten, denn zum Glück durfte ich unser drittes Kind auch in Berlin gebären.
Und grundsätzlich würde ich auch auf keinen Fall wegen der Schwangerschaftsvorsorge davon „abraten“, in England schwanger zu sein. Oder einen Umzug empfehlen (das schrieb allerdings tatsächlich mal eine Mama in einer Facebookgruppe, dass die geplante Schwangerschaft für sie der Grund für die Rückwanderung nach Deutschland war). Ich kenne ein paar Fälle, wo ganz eindeutig das NHS (National Health System: Das steuerfinanzierte Krankenversicherungssystem in England) versagt hat und die Familien einen schwereren Start hatten, oder wo sich der Behandlungsfehler leider dauerhaft ausgewirkt hatte.
Deshalb vertrete ich den Standpunkt, dass man sich bei Unsicherheit nicht abwimmeln lassen soll, sondern solange nachfragt und ggf weitere Untersuchungen verlangt, bis die Unsicherheit geklärt ist. Und wenn es übers NHS einfach keine Hilfe gibt, dann lieber einmal in eine private Untersuchung investieren, als sich hinterher zu ärgern, dass man seinem Bauchgefühl nicht vehementer vertraut hat!
Was passiert nach dem positiven Schwangerschaftstest?
Wenn man zu Hause per Schwangerschaftstest herausgefunden hat, dass man schwanger ist, geht man als allererstes zum Hausarzt (GP genannt). Dieser bespricht mit einem kurz ein paar Dinge, die man in den nächsten Wochen nicht machen darf und überweist die Schwangere an ein Krankenhaus, welches sich im weiteren Verlauf um die Schwangerschaftsbetreuung kümmert.
Bei mir war es so, dass der Hausarzt bereits in die Überweisung geschrieben hat, dass mich – statt lediglich Hebammen zu den Check-ups – ebenfalls das medizinische Frauenarzt-Facharztteam im Krankenhaus sehen soll, weil ich die sogenannte „Faktor V Leiden Mutation“ habe. Das ist eine genetische Veränderung, die heterozygot (also nur auf einem Gen) bei geschätzt 5% der Europäer auftritt und welche zu einer erhöhten Thrombosegefahr führt. Im Alltag beeinflusst das Betroffene ziemlich wenig, außer dass der Frauenarzt diese Information bei der Wahl der Verhütungsmethode beachten wird. Aber in der Schwangerschaft, wo ohnehin die Thrombosegefahr erhöht ist, muss man halt schon ein wenig mehr aufpassen.
In den ersten beiden Schwangerschaften habe ich deshalb von Anfang bis Ende Kompressionsstrümpfe getragen, musste aber kein Heparin spritzen, was die noch sicherere Variante wäre. Zum Glück! Im Urlaub habe ich nämlich mal statt der Strümpfe zu tragen, Heparin gespritzt und riesige und stark juckende Flatschen um jede Einstichstelle entwickelt, weil ich offensichtlich allergisch auf Heparin reagiere. Wenn ich mir vorstelle, die Schwangerschaft über jeden Tag eine Spritze spritzen zu müssen, hätte ich wohl irgendwann Probleme, überhaupt noch eine vernünftige Einstichstelle zu finden…
Irgendwie scheinen sich allgemein – egal in welchem Land – die Ärzte bei schwangeren Faktor V Patientinnen nicht ganz einig zu sein, was die Behandlung während und nach der Schwangerschaft angeht: Manche Schwangere müssen auch bei heterozygotem Faktor V Leiden die ganze Schwangerschaft Heparin spritzen, während bei anderen Kompressionsstrümpfe reichen. Mich würde es nicht wundern, wenn andere Ärzte gar keine Vorsichtsmaßnahmen anordnen…
Der Hausarzt meinte zu meinem Faktor V Leiden übrigens lediglich, ich solle mir „Flight socks“ aus dem Drogeriemarkt besorgen – das würde reichen. Solche sind natürlich ein Witz gegenüber richtigen Kompressionsstrümpfen! Aber zum Glück kam kurz nach Feststellung der Schwangerschaft unser altes Au Pair zu Besuch und hat mir die alten Kompressionsstrümpfe aus Berlin mitgebracht. Da so ein Paar als Selbstzahler über 100€ kostet und ich hier in England kein Rezept dafür bekomme, war ich darüber sehr dankbar.
Der erste Hebammentermin im Krankenhaus
Relativ schnell nach dem Hausarzttermin bekam ich einen Anruf von einer Hebamme für den ersten Termin im Krankenhaus. Das war der absolute „Admin-Besuch“: Über eine Stunde saß ich bei ihr und bin einen ellenlangen Fragebogen durchgegangen (ps als Tipp: ich habe vorher fast alle diese Fragen in einer Selbstauskunft online ausgefüllt, aber die Systeme sind nicht verknüpft und ich hätte mir das echt sparen können!).
Außerdem haben wir noch die klassischen Dinge besprochen wie: Was darf man essen und was nicht? Worauf muss man noch achten? Wo geht man im Notfall hin? Was für Untersuchungen stehen an?
Meinen englischen Mutterpass, der hier wie ein formeller Aktenordner aussieht und sich „Maternity Notes“ nennt, habe ich auch bekommen. In DIN A4 und dank ordentlicher Stärke auch recht schwer! Und den soll man dann bitte auch immer bei sich tragen. Ja schönen Dank…
Ansonsten wurde ich von dieser Hebamme nicht untersucht, bekam aber den Hinweis, dass mir ein Termin für eine Blutuntersuchung in einer anderen als meiner eigenen Arztpraxis zugeteilt wird. Meine Arztpraxis nimmt nämlich kein Blut ab und für jede x-beliebige Blutabnahme muss man in ein bestimmtes Krankenhaus. Dieses Mal sollte ich allerdings in eine Arztpraxis gehen, die so gar nicht bei uns in der Nähe war (*Augenroll*).
Der erste von zwei Ultraschalls
In der Schwangerschaft in England sind zwei Ultraschalls vorgesehen: Eine Feindiagnostik um die 12. Woche herum und ein weiteren Organ-Scan nach der 20. Woche.
Bis zur 12. Woche weiß man in England also eigentlich nicht, ob es sich überhaupt um eine intakte Schwangerschaft handelt, weil kein Ultraschall gemacht wird!
So lange wollte ich allerdings nicht warten! Deshalb bin ich in der 7. Woche zu einem privaten Ultraschall gegangen und konnte mich überzeugen, dass da EIN kleines Etwas mit starkem Herzschlag in meinem Bauch war! Sehr beruhigend und die Ärztin meinte auch, dass lange in England versucht wurde, diesen „Confirmation-Scan“, der für Schwangere sehr wichtig ist, beim NHS durchzusetzen, das aber aufgrund der Kosten nicht möglich war!
Den ersten offiziellen und vom NHS bezahlten Ultraschall hatte ich im Krankenhaus bei einer Sonographie-Ärztin, die den ganzen Tag, glaube ich, nichts anderes macht, als Ultraschalls von Schwangeren.
Ich habe bei meinen zwei ersten Schwangerschaften keine Feindiagnostik machen lassen. Zumindest nicht bewusst. Das, was die sehr nette englische Ärztin da bei dem 12-weeks-scan gemacht hat, kam mir, bis auf die Nackenfaltenmessung, nicht umfangreicher vor, als ein normaler Ultraschall bei einem regulären Termin bei einem Frauenarzt in Deutschland. Eher sogar weniger, weil das einzige, was ausgemessen wurde, die Scheitel-Steiß-Länge für die Entbindungsterminfestlegung sowie die Nackenfalte war. Keine Knochen, Bauch- oder Kopfumfangmessung und auch nur mal kurz geschaut, dass Herz, Gehirn, Magen und Blase da sind.
Zusammen mit dem Ergebnis der Blutuntersuchen (das war die extra Blutabnahme in der entfernt gelegenen Arztpraxis), hat mir die Ärztin die Wahrscheinlichkeit für verschiedene Trisomien mitgeteilt. Das Risiko aufgrund meines Alters (36) ist ja schon etwas beängstigend. Es ist aber in Kombination mit den anderen Werten in einen recht sorglosen Bereich gerutscht, so dass die Ärztin und ich der Meinung waren, dass keine weiteren Untersuchungen nötig wären.
Außerdem wurde das Blut noch auf verschiedene Infektionskrankheiten und Anämien untersucht. Alles ohne Befund zum Glück.
Der erste „echte“ Vorsorgetermin bei der Hebamme
In der 16. Woche stand dann der erste Besuch bei der Hebamme an. Die dort durchgeführten Untersuchungen kamen mir auch eher minimalistisch vor:
Eine Urinprobe wurde untersucht (das Urin-Töpfchen wird dabei nicht in einer Durchreiche abgestellt sondern ich hatte es – sehr zur Belustigung der Mädels, die mit waren – in meiner Handtasche! „Mama hat Pipi in der Handtasche“ – darüber haben sie sich natürlich auch noch viel viel später schlapp gelacht!!!).
Der Blutdruck wurde gemessen und dann kam ich zur Hebamme. Sie hat kurz gefragt, wie es mir geht, hat mir die Werte/Ergebnisse von der Blutabnahme mitgeteilt, und mit nem Gerät den Herzschlag des Babys überprüft. Das war für die Kinder natürlich spannend!
Es wurde kein Gewicht oder Bauchumfang gemessen oder der Gebärmutterstand abgetastet. Geschweige denn, wie fest Zervix und Muttermund sind. Gut, ist ja zum Glück nicht meine erste Schwangerschaft und bisher hatte ich damit keine Probleme…
Soweit machte die Hebamme einen netten Eindruck. Worüber ich allerdings sehr geschockt war, war ihre Antwort auf die Frage der Schnatterente, wie groß das Baby jetzt sei. Wir unterhielten uns nämlich noch darüber, dass ich glaube, schon leichte Bewegungen zu spüren. Und laut Schwangerschafts-App hatte das Baby zu dem Zeitpunkt eine Scheitel-Steiß-Länge von ca. 10 cm. Und dann kommen ja noch die Beinchen dazu.
Die Antwort der Hebamme war doch tatsächlich, dass es die Größe einer Walnuss hat!! Einer WALNUSS!! Obwohl wir vorher drüber gesprochen haben, dass ich schon leichte Bewegung spüre. Das war echt unfassbar!
Kontakt mit dem medizinischen Personal des Krankenhauses?
Obwohl ja bereits der Hausarzt beim allerersten Termin und die Hebamme bei der ersten Besprechung sagten, dass sich das medizinische Fachpersonal wegen des Faktor V bei mir melden wird, ist das bis heute nicht geschehen. Auch die Hebamme beim ersten richtigen Check-up-Termin meinte, dass ich schon einen Brief hätte bekommen sollen.
Ich mache mir jetzt deswegen keine Sorgen, weil ich ja eh keine andere Behandlung erwarte und auch gar keine Lust habe, dass mir hier jemand noch aufbrummen könnte, dass ich anfangen soll, Heparin zu spritzen. Aber wenn ich erstmalig schwanger wäre, würde mich das sicher beunruhigen.
Dann hätte ich mich vermutlich dahintergeklemmt und ich gehe mal davon aus, dass man dann auch recht zeitnah einen Termin beim Krankenhaus-Gynäkologen bekommt.
Fazit der ersten Schwangerschaftshälfte in England
Wenn man den Vergleich mit der Schwangerschaftsvorsorge in Deutschland hat, fühlt man sich in England deutlich weniger versorgt. Das mag nicht für jeden ein Problem sein. Manche finden die ständigen Untersuchungen in Deutschland ja auch eher zu viel.
Ich hätte mir definitiv einen Schwangerschafts-Bestätigungs-Ultraschall gewünscht, den ich nicht hätte selber zahlen müssen (85£ war jetzt auch nicht grad wenig!).
Die Kompetenz der Ultraschallärztin hat mich schon überzeugt auch wenn ich nicht fand, dass sie vergleichbar viel wie in Deutschland vermessen hat. Aber wenn man den ganzen Tag nur Babies im Ultraschall sieht, würde sie Anomalien vielleicht auch ohne Messung erkennen und dann ggf. genauer hinschauen.
Die beiden Hebammen die ich bisher gesehen habe, waren schon nett. Ob sie allerdings so gut ausgebildet sind, wie unsere Hebammen in Deutschland, bin ich mir derzeit nicht ganz sicher.
Außerdem gibt es da noch so einen Kritikpunkt, den zumindest viele Deutsche so empfinden: Insgesamt sind viele englische Krankenhäuser – vermutlich durch die permanente Budget-Knappheit des NHS – einfach (man kann es nicht anders sagen) etwas ranzig und alles andere als modern.
Ich habe noch nicht die Kreißsääle gesehen und kann nur hoffen, dass die ein wenig netter aussehen als der Rest des St. George’s Krankenhaus in Tooting in Südwest London. Ich versuche zwar, nicht in einem Kreißsaal in England zu landen, sondern rechtzeitig zur Geburt nach Berlin zu fahren, aber man weiß ja nie, ob man gegen Ende der Schwangerschaft noch reise-tauglich ist… Und falls das Kind doch hier zur Welt kommen sollte, kann ich mich schon mal auf ein riesen Wöchnerinnen-Zimmer, das lediglich durch Gardinen einzelne „Kabinen“ abtrennt, einstellen, bei dem man freiwillig so schnell wie möglich wieder die Biege machen will. Aber gut, eine ambulante Entbindung ist so oder so nach der guten Erfahrung bei der Kuschelmaus das, was ich wieder plane.
Seit der 16 Schwangerschaftswoche habe ich keine weitere Untersuchung gehabt. Nun ist gerade Halbzeit und in zwei Wochen bin ich beim zweiten Ultraschall. Der nächste Check-up Termin ist dann für die Schwangerschaftswoche 28 geplant. Bin gespannt, wie das dann so läuft und vermutlich sehe ich dann die dritte Hebamme, weil man hier keine feste Hebamme zugewiesen bekommt.
Hier kannst du nachlesen, wie sowohl die zweite Schwangerschaftshälfte in England lief, als auch die Geburt in Berlin. Eine Gegenüberstellung von Schwangerschaft und Geburt in Deutschland und England habe ich vor einigen Jahren auch bereits einmal verbloggt.
Eure Uta x
Ach sorry, hab ich erst jetzt gesehen, ist schon online! Pardon und vielen Dank für den Beitrag
Wie war denn nun der zweite Teil?
Hallo Uta,
Wissen Sie ob in England für Schwangere auch die Nachtschicht verboten ist??
LG
Marion
Hallo Marion,
ich habe deinen Kommentar leider jetzt erst gelesen.
Das NHS rät Schwangeren nicht generell von Nachtschichten ab. Das scheint davon abhängig zu sein, welche sonstigen Risiken die Schwangerschaft mit sich bringt und sehr wahrscheinlich, wie stressig die jeweilige Arbeit in der Nacht ist.
https://www.nhshealthatwork.co.uk/images/library/files/Clinical%20excellence/Pregnancy_info_shiftwork_A4.pdf
Viele Grüße,
Uta
Es ist interessant zu lesen, wie unterschiedlich es teilweise doch auch in England und Schottland zugeht. Bei einer letzten Schwangerschaft vor 3 Jahren hatte ich noch ein DINA4 Heft mit meinen Maternity Notes. Mittlerweile wird hier alles elektronisch ausgefüllt, dafür hat man zwar die Zugangsdaten, aber ich habe in 40 Wochen Schwangerschaft nur einmal reingeschaut.
Aber ich stimme dir zu, den ersten Ultraschall erst in der 12. SSW zu haben ist für eine werdende Mutter eine gewaltige Nervenprobe. Im schlimmsten Fall denkt man ja 3 Monate lang man ist schwanger, nur um dann zu erfahren, dass man es nicht (mehr) ist.
Ich muss aber doch sagen, dass ich froh bin, nicht wie in Deutschland andauernd zum Arzt zu müssen, oder ständig zum CTG gerufen zu werden. Besonders wenn man arbeitet oder schon ein Kind hat, hat man für sowas ja wenig Zeit.
Jetzt beim 2. Kind bin ich was die spärlichen Untersuchungen angeht doch viel entspannter. Beim 1. Mal fand ich es doch sehr irritierend, besonders weil man immer den Vergleich zu Deutschland hat. Aber das sind sicherlich auch zwei Extreme, auf der einen Seite die Überversorgung, auf der anderen nur das Nötigste.
Liebe Uta,
herzlichen Glückwunsch zu deiner Schwangerschaft und vielen Dank für den sehr interessanten Bericht über deine Erfahrungen als Schwangere in GB 🙂 Alles Gute und ich erwarte gespannt deinen nächsten Bericht
Vielen Dank!!